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Lyrik
TEXTBEISPIELE
ZU WERKEN VON
AUGUST GUIDO HOLSTEIN
(Das erste Bändchen war einfach gehalten, „Windmessstäbe“ teils anspruchsvoller, Gedichte mit u.a. gesellschafts-politischem Anstrich. „Der Berg geht zum Meer“ weist Lyrik verschiedenster Art auf in den acht verschiedenen Kapiteln, mit Schwergewicht „Natur“. Eine Auswahl kann unmöglich dafür repräsentativ sein, was für das letzte Lyrik-Werk auch gilt. In der Auswahl eher nicht längere Gedichte.)
aus WIND AUF FAHRT
Seilbahn
Wie ein Vogel
holt dich
am Sonntag
die Seilbahn
über den Nebel.
Aber am Werktag
musst du selber steigen
um über das Grau
des Alltags
hinweg zu sehn.
Reisewind
Glaubst du
wenn du reisest
es vergrössere sich
dein Selbst?
Wenn du den Fahrtwind
spürst an der Stirne
wenn die Freiheit
an dir vor vorüberzieht?
Du schwelgst
in den Möglichkeiten
die du nicht ergreifst
und suchst das Besondere.
Du haschest
das Auffällige
die Kulissen und Staffagen
die du aneinanderreihst.
Wie soll
sich Leben entfalten
wenn du die Bühne
gleich wieder verlässest?
Du lebst
in der fliehenden Zeit
des Rädergeratters
und deine Gegenwart verrinnt.
Herbstspruch
Wer nicht im Nebel wandert
wer aufbricht am Spätnachmittag
in den Bahnen des kurzen Sonnenstrahls
erreicht nie die Höhe
erblickt den Himmel nie rein
und hält die blaue Blässe
für die grosse Feier des Tages.
Nur wer im Nebel steigt
feiert in den Höhen
den unendlichblauen
Sonnengesang.
Das Kap
Wenn du das Kap umschiffst
der Möwensegler
in Steinpyramidentrauer
zwischen Zitterfarnen
wo Schiffe zerschellen
im Wasser- und Nebelgebräu
beim Lockschrei der Vögel
und manche Todesblume blüht
aus dem Trümmergranit
denke, jenseits wartet deiner
immer wieder eine gastliche Bucht.
aus WINDMESSSTÄBE
Der Buddha der Winde
Man hat mich
zu den jungen Windpoltergeistern
gesellt, die lärmend
purzelnd und wirbelnd
meine Wegweiserwinke
nach oben umbrausen.
Neckischer Zischelwind
kichert mir ums Ohr
und Jungbolde schreien
frechbrüstig aus niedern Tümpeln.
Mir graust vor den Krötenwassern
die sie nach oben verschleppen.
Ich weiss aber
dass sich der Himmel schwärzt.
Noch kennen sie nicht die Gewitter
die ihr Getümmel auslöst
die Blitze in den Nerven
den zuckenden Schmerz.
Kauernd auf dem Boden
erwarte ich bessere Zeiten
während die Güsse
gradlinig nach unten peitschen
bis die letzten Wasserhüpfer
wieder Besseres verkünden.
Warum steh ich so tief
unter den Wolkenfäusten
und Luftwirbelsäulen
im Lärm und Gerangel
der finsteren Wetter
in Dunst und Gebräu?
Derweil ich doch
nur lausche
ob von ganz oben
über den Wolken
einige himmlische Takte
Sphärenmusik hernieder träufeln.
Und träume
ich gleite in der Stille
jenseitiger Töne
zephirgleich sanft
hoch über der Erde
nahe den Sternen.
Oh, welch ein Klang!
Aber ich stehe tief unten
wusste lange nicht
dass auch der Windgeist
kennt den leidenden
Buddha der Erlösung.
Fremder Ratschlag I
Suche
eine Frau, die
Kaffeetassen strickt
Tortenplatten häkelt
Krawatten modeliert
und Nastücher emailliert.
Finde
die Frau, die
als Heimkünstlerin
deine Augen umgaukelt
deinen Hunger bezirzt
deine Haut einbalsamiert
fürs Leben
wenn du das Hautgeheimnis kennst
die Wärmewellen und das Lächeln
das wie eine Rose sich öffnet.
Melancholie
Die Zeit verraucht
Bald ist es Herbst.
Die Tür geht zu.
Du trittst hinaus.
Du grüssest sie
am Schwellenrand
Melancholie
beim Schleiertanz.
Wir Dingverzehrer
brauchen viel
manch Gegenüber
der Liebe viel.
Die Dinge stehn herum
die uns so wichtig scheinen
schattenhaft und sanft umwoben
traurig-schön.
Wasser tropft vom Baum
grau blüht
mit ihrem schmerzlich-süssen Duft
die Nebelblume.
Schreiben
Schreiben
um endlich
diese Welt
anzufassen.
Schreiben
um ins Innere
zu bergen
all das Flüchtige.
Schreiben
um die Koordinaten
des Selbst
zu bestimmen.
Schreiben
Erde mit Seele
durchtränken
mit der Duftnote Mensch.
Schreiben
als Warnruf für die Zukunft
als Akt der Gerechtigkeit
für die Vergangenheit.
Schreiben
als Vergegenwärtigung
denn Erinnerung ist auch
Pulsschlag und Lebensatem.
Schreiben
in Bildern
der „Comédie humaine“
mit dem Lachen dabei.
Schreiben
aus dem Ungewissen
im Wald
der Fragezeichen.
Schreiben
als Spur im Schnee
die sich verläuft
in der Einsamkeit des Ichs.
aus „DER BERG GEHT ZUM MEER“
Das Zeiten-Rad
Zeit läuft
Zeit flieht
kehrt wieder
zu uns zurück.
Zeit ist Leben
Aufblühen
gemahlenes Korn
Wassergetriebe.
Zeit formt
unsere Gestalt einmalig
auch wenn wir
aus dem Räderwerk fallen.
Im Strom der Erinnerungen
unser Sein, unsere Taten
im alten Jahrhundert
im neuen.
Musik
Hast du sie gesehen
die Strasse mit dem schönen Bogen
in cis-Moll?
Die Frühlingswiese
in c-dur aber
ist erloschen.
Schattenhänge
trommeln dumpf
in g-Moll.
Waldpartien
markieren abwehrend
Pausen im Getöne
derweil die Hügel
mit den runden Hüften
in f-dur weitertanzen.
Wandel
Früher
beugte sich
der Mensch
über Erdschollen.
Dann
beugte sich
der Mensch
über Papier.
Heute
über eine Glasscheibe.
Bald schaut er hindurch
ins Unwirkliche.
Spiegel
Im Spiegel
sah ich die Kunst
als Doppel- oder Widergänger
des Greifbaren
als Geist
und doch wirklich.
Echorufe
aus dieser Welt
hallen ins Ewige.
Es antwortet zurück:
Spiegel als Tor
in die geistige Welt.
Aber warum
haftet dieser Schleier
von Melancholie
auf dem Glas
als wäre diese Tür
doch verschlossen? –
Eingebung
Steine als die Bücher
dieser Erde:
alles darin eingetragen
unter den Schriftzügen
der Moleküle und Atome.
Steine als die Uhren
dieses Planeten
mit verschiedenen Pendeln
individuell schwingend
plötzlich diese Erkenntnis.
Steine wie Fäuste
gewaltige Kräfte
im Innern zentriert.
Aber auch wie Menschen
streng oder lieblich im Charakter.
Grob, hart, kantig
Steine als Menschen, Menschen als Steine
suggestiv vulkanisch
oder seidenweich
wie das Antlitz einer Frau.
Wasserhaut
Wie sensibel
vom leichtesten Hauch
erschauernd
ist die Wasserhaut!
In Vibration sind
Tausende von Lebensgebilde
im Entstehen und Vergehen
in einer Sekunde.
Alles schillernd
mit Doppelkörpern
zwischen den Wellen
in dunkleren und helleren Bahnen
in nicht geometrischen Strukturen
gerippelt, pulsierend
wie die Herzschläge der Völker
ständig bewegt
worauf die Sonne
nach dem Gesetz dieser Erde
ihre Strahlen schüttet
für das Muster hell-dunkel.
Unbekannte Strömungen
durcheilen die Gefilde
taumelndes Quecksilber
durchglüht hell den Wasserzauber.
Dann die Begegnungen
mit der Härte, dem Festen
das wie ein Traum
schon stets im Wellengang ruhte.
Wasser bäumt sich
als Brandungswelle zum Fels
prallt auf, zerstiebt
um sich gleich wieder zu finden.
Wir wissen
wer stärker ist
auf dem Planeten der Ozeane
wo alles fliesst.
Auf dieser Erde
der Analogien
nicht nur zwischen den Menschen
und den Elementen.
Und es fragt sich
wo mehr Wasser fliesst
in unserem Körper
oder in der Seele.
Zitronenfalter
Da flattern die Wimpel
des gelben Zitronenfalters
vor meinen Augen vorbei.
Wie das Jauchzen
eines Paradieswanderers
in ausgelassener Stimmung.
Als ein Lichtwesen
heiterstes Art
ist er umflutet von Sonne.
Ob höher oder tiefer
nichts mag ihn beschweren.
Sei also: so leicht wie der Wind!
aus WINDSPIELE
Lachen im Wind
Diese Winde
neugierig und habgierig
auf jedes Lachen
tragen es sogleich fort
wie weisse Luftballone
in die himmlische Luft.
Unbekannt das Götterufer
bei dem sie landen
gezählt und registriert
zur weitern Rettung
unserer Welt
nun werden..
Denn solltet ihr
zu wenig lachen
dann wäre die Lage ernst.
Es würde beraten, bewogen
ob diese Einrichtung belassen
oder die Kugel zu verändern sei.
Menschen und Erde seien tolerierbar
solange unser Lachen
ans Jenseitsufer schwebe.
Windspiele
Alles fassen
diese Windhände an
suchen Bewegung, Berührung
Ihr Luftzüge über Land
verliebt in die Flatter-Geräusche
bläst, dass die Baumwipfel sich wiegen
als würdet ihr sie an euch drücken
dann wieder loslassen, immer wieder.
Erlaubt dem einsamen Plastiksack
überm Strassenpflaster feierlich zu schweben.
Aber seid nicht zu heftig.
Erzählt von der Anmut des Lebens.
Nicht schon wieder:
Aus Spiel wird Ernst.
Tanz, liebkost
bewegt unsere Sinne
vor allem aber unsern Geist.
Prometheus heute
Wenn einer so manches
den Göttern entreisst
aus dem Nichts hervorzaubert
doch die Menschen
achten dies nicht
denn er steht am Rand
der Erdscheibe
wo man die Luft
sirren hört
und das ewige Geflüster
derweil entfernt in der Mitte
all die Lautsprecher dröhnen.
Was holt er Fernes
auf diesen Planeten
in den Zeitungen steht
schon genug.
*
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